Nachdem im ausführlichen Selbstversuch (Link)
festgestellt wurde, dass Elektromobilität grundsätzlich eine
Möglichkeit ist und der vorhandene PKW ohnehin zum Austausch anstand,
stellte sich als nächstes die Frage: welches Fahrzeug kommt denn
eigentlich für einen Kauf in Frage? Das erfordert -zumindest im Moment
noch- eine gewisse Nabelschau.😆 Soll heissen: man muss sich über seine
Anforderungen an das Auto einigermassen im Klaren sein, denn sonst droht
die Gefahr eines Fehlkaufes. Eine Analyse des eigenen Fahrprofiles muss
her - und zwar eine möglichst objektive.
Das ist natürlich das genaue Gegenteil von dem, was die Autoindustrie so gerne predigt, indem sie versucht, den Autokauf ein Gefühlsmomentum zu verpassen (z.B. "Freude am Fahren"). Bei diesem Verfahren sollen objektive Faktoren wie Fahrzeuggrösse, Verbrauch, Nutzwert etc. absichtlich ausgeblendet werden. Wobei das Ziel aus Sicht des Verkäufers selbstverständlich darin besteht, dass der Käufer mehr ausgibt als eigentlich notwendig. 👺Offenbar mit Erfolg: während die durchschnittliche Fahrleistung schon seit Jahren bei unter 15.000 km (Link) stagniert, erhöhte sich der durchschnittliche Neuwagenpreis auf mittlerweile über €34.000 (Link). Eine Summe, für die man dank insgesamt fast €10.000 Prämie locker einen guten Elektro-PKW bekommt.
Während
man beim Verbrenner gewisse Faktenlagen durchaus übersehen kann (und
dadurch zu gross, zu teuer, zu durstig, zu irgendwas kauft), kann so etwas beim
Elektrofahrzeug schneller zu Frust führen. Daher ist es erforderlich,
sich selbst und seine Anforderungen realistisch einzuschätzen. Ein zu
grosses Auto als Verbrenner gekauft führt 'nur' zu überflüssigem
Verbrauch, zu teurer Versicherung oder häufigerer Suche nach der
passenden Parklücke. Beim Stromer dagegen sind eingeschränkte Reichweite
oder ein zu teures Batterie-Upgrade die gravierendere Folge. Wie kann
man das also angehen? 😏
Auf
den ersten Punkt kommen die meisten Leute (noch) nicht ohne weiteres.
Die Überlegung: im Grunde ist es relativ egal, wieviel Reichweite man
hat, wenn das Laden schnell genug geht. Ein Extrem in dieser Richtung
ist der Porsche Taycan (derzeit Porsche Bestseller!), der zwar nur etwa
200 km Reichweite ausweist, aber 100 km in wenigen Minuten nachladen
kann. Die meisten Elektrofahrzeuge schaffen das nicht, aber wie gleich
erklärt wird, das ist oft auch nicht erforderlich. Es ist aber erforderlich, dass man weiss, was sein Auto kann. 💫
Lademöglichkeiten sind nur für manche Gruppen kritisch. Für welche und unter welchen Umständen, soll hier ebenfalls aufgezeigt werden. An dieser Stelle werden zur Vereinfachung nur 3 Profile aufgeführt:
-1: Wenig-/Stadtfahrer:
Für diese Gruppe spielt die Reichweite des Fahrzeuge keine Rolle. Fahrzeuge wie der e-Up, der eGolf, Renault ZOE (bis 2019) oder der eSmart haben etwa 120-200 km Reichweite, in der Stadt kann man damit lange auskommen. Denn im Gegensatz zum Verbrenner heisst "Stop and Go" für das Elektrofahrzeug nicht mehr, sondern weniger Verbrauch. Das liegt an der in der Stadt häufiger einsetzenden Rekuperation, die etwa 60% der Anfahrenergie beim Bremsen zurückgibt.
Die Akkus sind in
dieser Klasse relativ klein, laden kann man daher mit der
Schukosteckdose zu Hause oder mittlerweile oft auch beim Einkaufen
unterwegs bzw. im Parkhaus (diese Säulen sind schneller als Schuko). Das
spielt bei diesem Profil aber keine Rolle. Es muss nur klar sein, dass
Ferntouren (>150 km) mit so einem Fahrzeug keine gute Idee darstellen
- vor allem nicht auf der Autobahn. Allerdings gilt das auch für
Verbrenner der gleichen Grösse.
-2: Pendler/Gelegenheitsfernfahrer
Für
die typischen Pendlerstrecken von 20-50 km täglich gibt es mittlerweile
geeignete Mittelklassefahrzeuge, die auch nicht jeden Tag nachgeladen
werden müssen. 250+ km sind hier eine typische Reichweite, sofern die
Strecke nicht zu 90% aus Autobahn besteht, z.B. VW ID.3, Peugeot
e208/eCorsa, Hyundai Kona/KIA eNiro, Renault ZOE (ab 2020) und weitere.
Man sollte aber zu Hause und/oder am Arbeitsplatz laden können, sonst
muss man ab und zu an den Schnelllader bzw. beim Einkaufen oder im
Parkhaus nachladen. Für das Laden zu Hause sollte bei mehr als 100 km pro Tag eine Wallbox
installiert sein (zur Infrastruktur kommt später noch ein Artikel), ansonsten reicht ein Schukolader. 💪
Dies
ist auch für die gelegentlichen Fernstrecken erforderlich, etwa im
Urlaub. Hier bekommt man dann aber bei Beachtung der optimalen
Ladefenster auch schon 200 km in weniger als einer halben Stunde
nachgeladen. Strecken bis 600 km mit überwiegend Autobahn bekommt man
auf diese Weise noch recht zügig mit 2-3 kurzen Pausen hin. Wer weiss,
dass es mehr wird (oder wem weniger Pausen lieber sind), kann bei den
meisten Modellen zu grösseren Akkus greifen.
-3: Fernpendler/regelmässiger Fernfahrer
Ja,
auch das gibt es bereits! Allerdings ist die Auswahl hier (noch)
beschränkt. Grund ist, dass die Autohersteller (ausser Tesla) einige
Zeit gebraucht haben, um zu erkennen, dass eine grosse Batterie alleine
(d.h. ohne entsprechende Ladegeschwindigkeit) nicht viel wert ist. Tesla
unterhält dazu sein eigenes Ladenetz, aber die Stromlieferanten rüsten
inzwischen ebenfalls auf. Auch Strecken >1000 km sind hier mit etwas
Planung noch gut realisierbar.
In derartigen Fahrzeugen (z.B.
Tesla Model 3, Audi eTron, Porsche Taycan) werden in der Regel recht
grosse Akkus mit hohen Ladeströmen kombiniert. Dadurch verkürzen sich
die Ladestopps, sodass längere Strecken auch kein zeitliches Problem
mehr darstellen. Bei so langen Strecken sollte allerdings auch beim
Verbrenner eine gelegentliche Pause mit drin sein - allein aus Gründen
der Verkehrssicherheit.
Schon an dieser Aufteilung kann man hoffentlich erkennen, dass man sich mit der falschen Wahl die "Freude am elektrischen Fahren"😉 durchaus versauen kann. Es ist zu beachten, dass die Grösse des Fahrzeuges alleine nichts über die Reichweite sagt, ebenso wie die Grösse des Akkus. Beides muss nicht nur zum Fahrprofil, sondern auch zueinander (!) passen. Kurz zwei Beispiele, wie man es nicht machen soll:
- Am 12.10.2020 lief
im N3-Fernsehen in der Sendung DAS ein Beitrag über 2 Redakteure, die
mit einem eGolf eine Fernstrecke von Hamburg nach Bentheim (ca. 330 km)
und zurück machen wollten. Und sich dann wunderten, dass das mit kleinem
Akku, hohem Verbrauch und langsamer Ladung sehr schlecht
funktionierte. 😠 Es gibt einen Grund, warum dieses Fahrzeug unter
Profil 1 gelistet ist. Dass mit solchen Beispielen Stimmung gegen die
Elektromobilität gemacht wird, ist sehr ärgerlich. Mit z.B. einem
Verbrenner-Smart hätte das Bild wohl ähnlich ausgesehen - und wäre
genauso sinnlos gewesen. Nur dass wahrscheinlich dann niemand als Fazit
sagen würde 'Verbrennertechnologie ist Mist'. Richtig ist: das Auto
passte nicht zum Einsatzzweck.
- Als Jaguar 2018 mit dem iPace
sein erstes Elektrofahrzeug auf den Markt brachte, hatte dieses von
Anfang an einen mit 90 kWh sehr grossen Akku. Bis zum Modelljahr 2021 gehörte
aber eine 4,6-kW-Bordelektronik dazu (Einphasenlader). Wer also eine der
üblichen 11-kW-Wallboxen installiert hatte, wunderte sich anfangs über
die langsame Aufladung. Für Leute, die überwiegend mit Wechselstrom
laden, ist das ein KO-Kriterium; der wirklich grosse Akku ist dann gut
für gar nichts.
Ein mögliches Hindernis sollte zum Schluss nicht unerwähnt bleiben, nämlich Spezialanforderungen. Wer z.B. Anhänger ziehen oder Dachlasten befördern will, muss sich derzeit noch etwas genauer umsehen. Zwar haben die meisten Hersteller erkannt, dass Anhängerkupplungen zum Fahrradtransport -speziell auch für eBikes- mittlerweile ein Muss darstellen. Bei echtem Anhängerbetrieb wird die Luft aber schon dünn. Die Auswahl an passenden Fahrzeugen wird sich erst im Jahr 2021 wesentlich erhöhen, entsprechende Modell sind bereits angekündigt oder in Vorproduktion (z.B. Tesla Model Y, VW ID.4/Skoda Enyak, Volvo XC40, Aiways U5).
Eine schöne, übersichtliche Liste verfügbarer Fahrzeuge, inklusive ihrer Preise und Leistungen findet sich übrigens hier (Format Excel, Google-Konto erforderlich).
Bleibt nur noch die Auflösung der Frage: und was ist es bei den Stadtimkern geworden? Das Fahrprofil fällt klar in die Klasse 2: viel Stadtverkehr, gelegentliche Mittelstrecken so um die 50-150 km, regelmässiger Fahrradtransport, ab und zu etwas längere Strecken im Urlaub: bis etwa 600 km pro Tag, bei über 1000 km generell mit Übernachtung, alles für 2 Personen. Antwort:
Auch
mit der 58 kW-Batterie stellen die Anforderungen kein Problem für den
ID.3 dar. Das Fahrzeug ist nach den bisherigen Berichten sehr effizient,
der Akku ausreichend gross, die Ladegeschwindigkeit hoch: selbst die
etwas längeren Strecken sollten mit wenigen Stops erledigt sein. Eine
Nachkalkulation des letzten Urlaubs nach Heilbronn (etwa 530 km) mit ABRP
ergab 6 Stunden Fahrzeit, inklusive 2 Stops mit 15 und 35 Minuten. Das
ist nur unwesentlich mehr als mit dem tatsächlich genutzten Benziner,
mit dem wir auf halber Strecke auch eine Mittagspause (+30 Minuten )
gemacht haben. Und der am Ende kurz vor dem Ziel noch nachgetankt werden musste (+10 Minuten). Somit ist dem Wagen zumindest auf dem Papier
uneingeschränkte Tauglichkeit für dieses Profil zu bescheinigen.
Und mit etwas Glück wird der Wagen vielleicht noch dieses Jahr geliefert - mal sehen. 😅
[Nachtrag: Lieferung war schliesslich am 23.12. - der Weihnachtsmann kam mit Extraanhänger]👍👍
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