Samstag, 28. November 2020

Elektromobilität 6 - Ökologische Betrachtungen

Es gibt (noch) ziemlich viele Argumentationen, die sich gegen die Elektromobilität richten. Diese lassen sich ganz grob in drei Bereiche unterteilen: Ökonomie, Ökologie und Komfort. In Teil 5 wurde schon die Ökonomie abgehandelt, in diesem Artikel kommt die Ökologie. Welche ökologischen Argumente gibt es für oder gegen die Elektromobilität?😏

Auch hier gibt es wieder interessante Aussagen zum Thema. Die meisten zielen darauf ab, den Elektroantrieb und/oder Elektromobilität generell in Frage zu stellen oder gleich zu diskreditieren. Hier ist auch besonders interessant, wie mit den Zahlen umgegangen wird, die es gibt.

Dann folgt hier jetzt mal ein ernsthafter Faktencheck, die Links auf Quellen finden sich wieder am Ende des Textes.

Bevor es richtig losgeht, soll hier wieder das kleine Gedankenexperiment aus der Ökonomie (Teil 5 der Reihe) stattfinden. Man stelle sich vor, es sei das Jahr 1888 und man begegnet einer Dame auf einem sehr ungewöhnlichen Gefährt: eine Kutsche ohne Pferde, aber mit Motor. Die Dame erklärt, ihr Name sei Bertha Benz dies sei die Zukunft der Mobilität.

Was hätte man -diesmal rein ökologisch!- entgegnen können? Hier ein paar Beispiele:

"Sowas gibt es auch ohne Lärm und Gestank seit 1830, schauen Sie sich doch mal um."

"Sie wollen sich ernsthaft auf Rohstoffe aus so fernen Ländern verlassen?"

"Öl? Wie wollen Sie denn das ganze Zeug hierher schaffen? Etwa in Säcken?"

"Der Transport und die Lagerung von diesem Zeug sind doch viel zu gefährlich. Vor allem in grossen Mengen!"

"Massenhaft Leute, die mit umweltgefährlichen, brennbaren und explosiven Stoffen hantieren? Und Sie denken, das sei eine gute Idee?"

Tja. Wie man sich doch an Ölkatastrophen gewöhnen kann: Exxon Valdez, Deepwater Horizon, Norilsk... die Liste der Wikipedia beginnt im Jahr 1907. Und den Namen des Schiffes, das in diesem Jahr halb Mauritius verseucht hat? Merkt sich kein Mensch mehr - ist ja weit weg und man ist auch irgendwie daran gewöhnt, dass das "nun mal" von Zeit zu Zeit passiert. Die Ölkrisen (erste, zweite, Golfkrieg 1, Golfkrieg 2, Jemen, Syrien, egal...) sind fast genauso weit weg. Und an die ganzen kleinen Schweinereien vor unserer Haustür (umgekippte LKW, die 10.000 Liter Benzin im Schutzgebiet verlieren oder ein kleiner Betriebsunfall in einer Fabrik, ein paar tausend Liter Heizöl landen im Fluss) haben wir uns seit Jahrzehnten gewöhnt. Kürzlich liefen wieder über 100.000 Liter bei der Bahn aus, wobei sogar versucht wurde, den Umfang zu vertuschen. Ist ja ganz normal, reicht höchstens zur Regionalnachricht.💢 Ausser beim Fracking, aber das ist wieder eine andere Sache.

Nun gut, richten wir also unseren Blick endgültig auf die Gegenwart und damit zunächst auf den so genannten "CO2-Rucksack" des Elektrofahrzeuges. Ursprüngliche Quelle ist eine schwedische Forschergruppe, die wissen wollte, wieviel CO2 bei der Produktion eines Fahrzeugakkus anfällt. Das war eigentlich keine Studie, sondern eine Metastudie, d.h. nur die Auswertungen anderer Studien. Dazu nahm sie die Zahlen aus der Produktion des Tesla-Spitzenmodells S. Ein schwedischer Journalist griff diese Studie auf, vermischte ein paar Zahlen (von denen einige reine Fantasie waren und gar nicht in der Studie vorkamen) und kam so zu der Behauptung, dass alle Elekrofahrzeuge bei der Produktion so viel CO2 verursachen würden, dass sie den Rückstand auf Verbrenner kaum aufholen könnten. Das war in jeder Hinsicht Quatsch: ein Tesla S ist kein Durchschnittsfahrzeug, hat den derzeit grössten Akku der Branche (100 kW) und wird überdies -wie alle Teslas in der Fabrik in Nevada- mit 100% Sonnenenergie produziert. Der Journalist gab den 'Fehler' 👿 zu und entschuldigte sich. Trotzdem rauschte und rauscht es immer noch gelegentlich durch den Blätterwald, noch immer wird ungeprüft daraus zitiert.

Davon abgesehen, hinkt diese Rechnung an einem wesentlichen Punkt generell: der CO2-Verbrauch des Verbrenners wird erst ab dem Auspuff gemessen, der des Stromerakkus schon bei Produktion im Werk. Nur dadurch geht der Verbrenner überhaupt mit einem Vorsprung ins Rennen. Wobei unklar bleibt, wie hier der CO2-Anteil all der überflüssigen Verbrennertechnologie (Motor, Auspuff, Kat, ...) berechnet wird. Und es ist ja klar, dass Benzin und Diesel auf Bäumen wachsen und von glücklichen Bauern ökologisch angebaut und gepflückt werden. 😈 Oder kann es nicht doch sein, dass man auch für Förderung, Transport, Lagerung und Raffinierung Unmengen von Energie verbraucht, von der der allergrösste Teil das Gegenteil von ökologisch ist? Bevor der Sprit in irgendeinem Tank landet? Dazu gibt es einige Berechnungen, die nahelegen, dass man da taschenspielermässig ganz schön viel unter den Tisch fallen lässt. So viel, dass man diesen Rucksack als reine Fantasie beiseite legen kann. 

Die grösste deutsche Raffinerie in Leuna beispielsweise legt ihren Energiebedarf auch auf Anfrage nicht offen; installiert ist jedoch ein spezielles Kraftwerk für den Betrieb mit 158 MW Leistung und 8.000 Betriebsstunden pro Jahr, Gesamtleistung somit 12.640.000 MWh oder 12.640.000.000 kWh. Bei einem Verbrauch von 20 kWh/100 km könnte man Elektrofahrzeuge alleine damit 632 Mio km (!) weit fahren lassen. Und verheizt werden dafür nicht näher genannte 'Produktionsreste'; wie ökologisch das ist, hat wahrscheinlich noch nie jemand gefragt. 

Doch weiter: mit diesem Strom werden nach Angaben der Leuna etwa 8,76 Mrd. Liter Benzin und Diesel pro Jahr produziert, das reicht bei sehr optimistischen 6 l/100 km für 1,46 Mrd. Kilometer. Somit werden über 40% dieser Leistung vorab als Betriebsstrom verbraucht. Und all die Energie, das Öl zu födern, zu lagern, zu transportieren (Pipelines bzw. deren Pumpen sind grosse Stromfresser) ist da noch nicht mit drin. Wenn man dann übrigens Zahlen aus Spritmonitor.de nimmt (die als Verbräuche knapp 7 Liter für Diesel, knapp 7,7 Liter für Benziner und 16,x kW für Stromer ausweisen), sieht die Rechnung mit über 60% noch trüber aus. Man kann sich schon fragen, wie sinnvoll das ist. 😦 Und zur Erinnerung: an dieser Stelle der Rechnung ist der Sprit noch nicht an der Tanke, und Förderung/Vortransport bleiben auch aussen vor!

Das Pseudoargument vom Strommangel durch BEV hat sich damit auch gleich erledigt: Kraftwerke und Leitungen sind ja schon vorhanden. Wenn also plötzlich (wie auch immer) grosse Mengen von Stromern auf der Strasse erscheinen, verbrauchen die Fahrer keinen Treibstoff in den nicht mehr vorhandenen Verbrennern mehr und der Strom für deren Produktion bzw. Transport ist somit über.

Bleibt noch die Sache mit der Stromherkunft. Während bei Raffinerien, Pipelines oder Tankstellen niemand fragt, wo der herkommt (s.o.), wird beim Elektrofahrzeug gerne darauf verwiesen, das sei ja nun 'nicht 100% Öko'. Abgesehen von der manipulativen Fragestellung -die unterstellt, alles unter 100% sei schädlich- ist das eindeutig in Arbeit. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromproduktion ist in den letzten Jahren stetig gestiegen und erreicht schon regelmässig über 50%. Die Netze sollen endlich ausgebaut werden, damit speziell Windstrom bei starker Produktion nicht dauernd abgeregelt werden muss. Und irgendwann soll auch angeblich mit der Kohle Schluss sein. Auch im Privatsektor wird eingegriffen, z.B. erhält man den derzeitigen €900-Zuschuss zur eigenen, privaten Ladestation nur bei Bezug von 100% Ökostrom. Die meisten Stromanbieter haben darauf bereits mit speziellen Angeboten reagiert.

Ein weiteres lustiges Thema sind Fahrzeugbrände. 💥Während ein abgefackelter Verbrenner es kaum noch in die Lokalnachrichten schafft, werden brennende Elektrofahrzeuge europa- oder sogar weltweit nachrichtentechnisch vermarktet. Das ist auch erforderlich, denn bei jährlich -je nach Zählweise- ca. 20.000 'Verbrennern' alleine in Deutschland 😬 wird es wahrscheinlich sonst eng in den Zeitungsspalten. Was das für die Umwelt bedeutet, wurde vermutlich auch noch nie thematisiert. Fakt ist: batterieelektrische Fahrzeuge brennen länger, aber das Risiko eines Brandes ist nach bisherigen Erkenntnissen viel geringer.

Damit zur neuesten Sau, die gerade durch das Dorf getrieben wird: Kobalt. Mit Abstand grösster Produzent ist der Kongo. Politische Instabilität! Korruption! Ausbeutung der Arbeiter! Und die Kinderarbeit! Und mehrere Kilo von dem Teufelszeug sind den Akkus von Elektrofahrzeugen, man stelle sich das mal vor! 😝

Stimmt alles - und gleichzeitig fehlen irgendwie ein paar Teile dieses Puzzles. Der Kongo liefert über 60% des Weltmarktes an Kobalt. Dieses wird in derzeit noch Fahrzeugakkus verwendet, um sie hochstromfähig zu machen. Je mehr Kobalt, desto schneller kann man schadlos laden - und desto teurer wird der Akku. Kleine Akkus enthalten nur sehr wenig Kobalt, weil sie nicht schnell geladen werden müssen. Grosse Akkus dagegen sind auf hohe Leistung und/oder Reichweite ausgelegt und müssen daher schnelles Laden gut vertragen können. Sie werden dadurch aber auch sehr teuer. Den Autobauern ist das Problem bewusst, sie arbeiten bereits daran, Kobalt zu ersetzen. Elon Musk hat als Erster angekündigt, dass alle Tesla-Akkus in etwa 3 Jahren kobaltfrei sein sollen (die des Modell Y aus Shanghai sind es heute schon, wodurch sie schwerer werden). Inzwischen fliessen Milliardensummen in die Batterieforschung; man kann davon ausgehen, dass zukünftige Systeme auf bessere und billigere Stoffe setzen werden.

Hier und heute lässt sich sofort nicht viel ändern (kobaltfreie Batterien sind noch einiges schwerer) - aber die andere Hälfte kann man ruhig auch mal auf den Tisch legen. Und die sieht so aus:

Nur etwa 42% des Kobalts landen also überhaupt in Batterien. Allerdings (derzeit) nur ein geringer Teil in Fahrzeugen, geschätzt etwa 5%. Auch wenn dieser zukünftig steigt, der grosse Fisch der restlichen 37% sind hier Akkus von Smartphones, Tablets, Laptops, Akkuschraubern.... Dann geht es weiter: was verbirgt sich hinter den Metallverbindungen (Superlegierung, Hartmetall, Hochleistungsstahl) und Katalysatoren, zusammen 40%? Antwort: in grossen Teilen Verbrennertechnologie! Die brauchen hochfesten, kobaltlegierten Stahl an vielen Stellen (vor allem im Motor, Kurbel- und Nockenwellen, Kolben...) und seit den 80er Jahren sind wir darauf gekommen, die Abgase wegen des sauren Regens zu entschwefeln. Resultat sind Katalysatoren zur Entschwefelung von Benzin und Diesel, die jede Menge Kobalt brauchen. Das dient ansonsten auch zum Färben (z.B. blaue Flaschen); und ungezählte Tonnen sind mit Ton- und Videobändern im Müll gelandet.

Seltsamerweise hat all das bisher nie jemanden interessiert, die Kobaltminen existieren schon viele Jahrzehnte. Für viele muss es alle 2 Jahre ein neues Handy sein, am besten mit verbessertem Akku. 😒 Auch akkubetriebene Werkzeuge verkaufen sich millionenfach. Der Sekt muss aus einer blauen Flasche kommen (schmeckt wahrscheinlich besser oder so). Oder möchte irgend jemand schwefelhaltigen Sprit zurück?

Bleibt noch das Recycling. Ein Thema, obwohl die Strukturen zum Recycling zeitgleich (!) zur Produktion aufgebaut werden. Erinnert sich noch jemand an die Zustände auf Schrottplätzen in den 70/80er Jahren? Die Massenproduktion von Verbrennern läuft seit 1913, die ersten ernsthaften Vorschriften kamen mit der Altfahrzeugverordnung von 1997, also nach über 80 Jahren. Tesla dagegen nimmt Altbatterien in Zahlung, der derzeitige Marktwert beträgt etwa 50% vom Neupreis. Dazu kommt, dass auch ohne Aufarbeitung eine Wiederverwendung als Hausspeicher für die PV-Anlage bei diesem Preis sehr lukrativ ist. Und schliesslich sind Fahrzeugbatterien modular aufgebaut, sodass einzelne Teile tauschbar sind, sofern man nicht gleich in die Rückgewinnung möchte. Somit ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand ein derartiges (sehr teures) Teil einfach wegwirft, nahe null.

Linkliste:

Entwicklung des Elektroautos: Wikipedia (Link)

Liste bedeutender Ölunfälle: Wikipedia (Link)

Bahn, über 100.000 Liter Diesel ausgelaufen: SWR (Link)

CO2-Rucksack des Elektrofahrzeugs: Tagesspiegel (Link)

Stromverbrauch bei Spritproduktion: Edison (Link)

Energieaufwand Produktion Benzin und Diesel: R+P (Link)

Produktion Leuna: Total (Link

Kraftwerk Leuna: Wikipedia (Link)

Durchschnittsverbräuche PKW: Spritmonitor.de (Link), Kraftstoffart wählen und 'Ok'

Nicht genutzter Ökostrom: NTV.de (Link

Ladesäulen-Förderprogramm: KfW (Link)

Fahrzeugbrände Verbrenner: Autosieger (Link)

Fahrzeugbrände Elektrofahrzeuge im Vergleich: Youtube Video Carmaniac (Link)

Fahrzeugbrände Stromer: ADAC (Link)

Tesla  Batterieentwicklung: Auto, Motor und Sport (Link)

Bedeutung Kobalt für Elektromobilität: Miningscout (Link)

Kobalt Produktion und Anwendung: BA für Geowissenschaften und Rohstoffe (Link)

Altfahrzeugverordnung: Wikipedia (Link)

Batterie-Recycling: ADAC (Link)

Batterie-Recycling: Auto, Motor und Sport (Link)

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