Dienstag, 25. Mai 2021

ID.3 Erfahrungsbericht: Fahrzeug und Elektromobilität allgemein

Nach nunmehr knapp 6 Monaten und dem Softwareupdate auf ME 2.1 (v792) soll hier mal ein allgemeiner Eindruck zum Besten gegeben werden. Was war/ist ganz gut, was nicht? Was gefällt mir, was nicht? Was kann oder muss noch besser werden? Dazu muss natürlich vorher gesagt werden: alles komplett subjektiv. 😀

Als erstes der Hinweis, dass mein Fahrzeug (wahrscheinlich noch mit der ersten Softwareversion v583) im November 2020 produziert wurde. Aber Anfang Dezember wurde das erste grössere Update freigegeben, die Version ME2.0 (v784) wurde dann noch auf alle bereits produzierten Wagen nachträglich aufgespielt. Darum wurde mein Fahrzeug etwas später ausgeliefert, nämlich kurz vor Weihnachten. Ich hatte dafür aber von Anfang an die zweite Version v784, in der bestimmte Problem bereits ausgeräumt waren. 😅

Ende April musste mein Wagen dann noch ein letztes Mal in die Werkstatt, um v792 aufzuspielen. Dieses enthielt auch das lang erwartete OTA (Over the Air Update): dadurch können zukünftige Updates per WLAN oder Mobilfunk aufgespielt werden, weitere Werkstattbesuche sind -zumindest dafür- nicht mehr erforderlich. VW hat übrigens derartige Updates in einem Rythmus etwa alle 3 Monate zugesagt - mal sehen.

Wie hat sich die Eingewöhnung also entwickelt? 

Die Zeit zwischen Dezember 2020 und April 2021 habe ich mit der Eingewöhnung verbracht. Die umfasste im wesentlichen drei Aspekte:

(1) Die Anpassung an die ungewohnte Bedienung

Obwohl VW im ID.3 keine Revolution angezettelt hat (wer wissen will, wie die aussieht, muss sich mal in einem Tesla umsehen, der praktisch keine Schalter mehr hat), ist das Bedienkonzept gewöhnungsbedürftig.😐 Aber das ist eigentlich bei einem Markenwechsel nicht wirklich überraschend. Wer von VW kommt, findet sich sicher schneller zurecht - und das ist sicher auch genau so gewollt. Bei mir hat es etwas gedauert, aber schwierig war es auch nicht.

(2) Die gelegentlichen Fehlermeldungen

Ich habe anfangs ziemlich viele Berichte anderer Leute über Fehlermeldungen im ID.3 gesehen. Die meisten stammten noch aus der ersten Softwareversion, selbst habe ich nur wenige Male die Stirn gerunzelt. Ich kenne beim Start die Meldungen "Fehler im Antriebsstrang" (ca. 5x in ebenso vielen Monaten), "Fehler Reifendruck" (1x gesehen) und 1x blieb der Entertainment-Bildschirm dunkel (Tacho etc. funktionierten aber). Ein paar Mal setzte das ACC aus oder liess sich nicht aktivieren. Das bekomme ich immer mit, weil ich es praktisch immer nutze. In allen Fällen war das Fahrzeug aber stets komplett fahrbereit und nach dem Abstellen war bei der nächsten Nutzung alles wieder in Ordnung. Seit dem Update auf 2.1 gab es bei mir praktisch gar keine Probleme mehr. 👍

(3) Die Anpassung an die Ladegegebenheiten

Wie im "Projekt Stromtankstelle" berichtet, war ich anfangs noch der Meinung -wie wahrscheinlich die meisten ohne Elektroerfahrung-, dass ich unbedingt eine eigene 11kW-Wallbox brauche. Wie überflüssig das bei meinem Fahrprofil eigentlich ist, fand ich zum Glück noch während der Planung heraus. 😏 Das hat mir einen vierstelligen Betrag erspart. Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und behaupten, dass niemand eine eigene Wallbox braucht, der nicht regelmässig (!) weniger als 6 Stunden zu Hause ist und dabei pro Tag mindestens 100 km verfährt. Ansonsten kann man mit  entsprechenden Schukodose bzw. -lader auskommen, die kosten nur einen Bruchteil, auch wenn man einzelne Leitungen oder Steckdosen ertüchtigen muss. Da kann man problemlos auf die KfW-Förderung verzichten.

Falls wir noch ein weiteres Fahrzeug auf Elektro umstellen, werden wir auch dieses an derselben Dose laden, aber die Fahrprofile geben das auch her. Zu beachten ist lediglich, dass man an einer Schukodose nicht zwei Autos gleichzeitig laden kann.

In diese Kategorie fallen natürlich auch andere Themen wie die 'Reichweitenangst'. Am Anfang war ich immer mit einem Auge auch der Restreichweitenanzeige. Das Thema ist so präsent, dass VW diese Zahl (in km) mit der 2.1 vom Entertainment auf die Hauptanzeige verlegt hat, vorher prangte da nur ein Batteriesymbol ohne Zahl. Ich habe auch -eigentlich grundlos- häufiger die App aufgerufen, um den Akkustand zu überprüfen. Mittlerweile schaue ich nur noch hin, wenn der Stand sich der 100km-Marke nähert. Das Fahrzeug warnt erstmalig bei 80 km Rest. Wen es interessiert: wenn der Bordcomputer '0 km' meldet, gibt es noch einiges an Reserven - genau wie beim Benziner. Nextmove hat das mal ausprobiert (Link). Geladen wird bei mir möglichst nach Vorgabe, d.h. zugunsten der Akkuschonung langsam und von 20-80%. Längere Fahrten, die einen Anfangsstand von 100% sinnvoll erscheinen lassen, sind normalerweise geplant (z.B. Urlaub), das mache ich dann am Tag vorher.

(4) Die Nutzung der Funktionen

Nicht in allen Punkten erfüllten bestimmte Funktionalitäten meine Erwartungen. 😒Der ID.3 kommt mit einer Fahrradträgerkupplung... die aber nur 55 kg trägt, statt 75kg wie anfangs angekündigt. Mit 2 eBikes ist das je nach Träger schon grenzwertig. Mittlerweile liefert VW nur noch 75kg-Träger aus, aber für mich ist das zu spät und €1.000 für den Austausch möchte ich nicht investieren.

Die Vorklimatisierung des Fahrzeuges per App funktionierte eher schlecht als recht, was der schlechten Kommunikation zwischen App und Fahrzeug geschuldet war. Eines der grossen Vorteile des Elektroautos ist ja, dass Standheizung/Vorklimatisierung quasi Serie sind. Dass dies im Winter nur manchmal funktionierte, war nicht so prickelnd. Mittlerweile ist das zum Glück wesentlich besser geworden. 😅

Auch die Wärmepumpe hat bisher nicht gehalten, was sie versprach. Im Gegenteil verursachte sie bei bestimmten Temperaturen die einzig wahrnehmbare und ungewohnte Geräuschkulisse. Entsprechende Berichte in Foren und Youtube weisen auf eine Menge Entwicklungspotenzial hin.

Die Integration der Reichweiten und Ladeplanung in die Navigation ist ebenfalls noch Baustelle (interessant natürlich nur für Leute, die das mitgekauft haben). Anfangs gab es gar keine Reichweitenhinweise auf der Karte. Mittlerweile gibt es die, aber sie ist nicht sehr zuverlässig und die Auswahl passender Ladesäulen ist noch etwas schwierig. Das trifft aber 'nur' Fernfahrer und man kann mit Hilfe von Tools wie ABRP das Problem umgehen, zumal auch Android Auto mit dem letzten Update implementiert wurde (Apple war schon vorher fertig). Auch hier ist aber der letzte Wort noch nicht gesprochen; AA funktioniert momentan nur über Kabel.

(5) Berücksichtigung von Umwelteinflüssen

Ein Elektroantrieb ist sehr effizient und Fahrbatterien sind (noch) recht teuer. Darum führt ein Elektrofahrzeug keine Reserven mit sich herum. Im Gegensatz zum Benziner: ein Liter Benzin enthält etwa 8,5 kWh Heizwert (Diesel knapp 10), ein Fahrzeug mit 30 Litern Tankinhalt hält also etwa 255 kWh an Energie vor, beim Elektroauto ist es vielleicht ein Fünftel. 😦Somit kann man beim Benziner z.B. kaltes Wetter oder starken Gegenwind relativ leicht kompensieren.

Dies ist bei Elektrofahrzeugen anders: Gegenwind, Heizen, Hochgeschwindigkeit, Regen, Fahrräder etc.: alles muss extra 'bezahlt' werden. Der ID.3 ist da keine Ausnahme.💥 Diese Verluste machen sich in der Reichweite bemerkbar, denn wie gesagt führt das Elektroauto keinen Ballast mit sich herum. Ich musste lernen, dass z.B. das Ansprechverhalten der Heizung im ID.3 echt super ist: in einer Minute abgetaut und aufgeheizt. Mein Vorgängerfahrzeug hat selbst mit Standheizung viel länger gebraucht. Aber die Kehrseit ist dann ein höherer Verbrauch. Während der bei mir im (sehr kühlen) Frühjahr 2021 etwa bei knapp 20 kWh/100 km liegt, lag er bei Inanspruchnahme des vollen Luxus (Stand-, Sitz-, Scheiben- und Spiegelheizung) im Februar bei 28 kWh/km auf der Kurzstrecke. Mehr dürfte es nicht werden, Kältephasen von minus 18 Grad wie in diesem Jahr sind ja eher selten. Am besten reagiert man mit Vorklimatisierung, wenn der Wagen noch an der Steckdose hängt: das können ja praktisch alle Elektrofahrzeuge.

Dasselbe gilt sinngemäss auch für höhere Geschwindigkeiten auf der Autobahn. Der Luftwiderstand steigt im Quadrat zur Geschwindigkeit. Das wirkt sich beim Elektroantrieb dank wesentlich höherer Effizienz stärker aus als beim Benziner, der ohnehin 65% der Energie auf dem Weg zum Rad verliert. Darum sind Geschwindigkeiten über 130 km/h eher was für Leute, denen die Anzahl der Ladestopps egal ist (entweder wegen der Ladegeschwindigkeit oder weil die Strecke nicht so lang ist).

Das ist aber nur für Langstreckenfahrten interessant und kann mit Hilfe einer halbwegs vernünftigen Planung in den Griff gebracht werden. Es gibt speziell zu diesem Thema (mehr Stopps und schneller Fahren vs. weniger Stopps durch langsamer Fahren) ein gutes Video für den ID.3 auf Youtube (Link). Hier wird gut erklärt, unter welchen Umständen sich Schnellfahren überhaupt lohnen kann. 😆

(6) Das Fahrgefühl 

Tja. Also, ich will nicht mehr zurück zum Benziner oder gar Diesel. 😎 Das Aha-Erlebnis kam für mich, als mein ID.3 zum Update in der Werkstatt stand und ich als Ersatz einen Polo RS (oder so was) bekam. Dass der Abstandstempomat nur halb soviel wert ist, wenn man kein Automatikgetriebe hat, bekam ich sofort heraus. Aber erst, als ich mal aus dem Stand an einer Kreuzung schnell in eine Lücke sprinten wollte, dachte ich 'nie wieder'. Zwar kam der Wagen noch gut vom Fleck, aber beim Tritt auf das Gaspedal dachte ich, mir fallen die Ohren ab. 👎 Wie schnell man sich daran gewöhnen kann, auch bei über 100 km/h nicht die Stimme erheben zu müssen. Auch die für die Länge unglaubliche Wendigkeit möchte ich nicht mehr missen; wenden ist selbst auf einer einspurigen T-Kreuzung problemlos möglich. Und mit der Kompaktklasse kommt man auch auf engsten Räumen in der Stadt zurecht, ich habe mich absichtlich gegen den ID.4 (oder den Aiways U5) entschieden.


Fazit: Die Weiterentwicklung der Wärmepumpe, der App und der Ladeplanung in der Navigation sind für mich die letzten relevanten Baustellen:

- Die Wärmepumpe hat bisher keinerlei erkennbare positive Effekte auf die Reichweite.

- Die App bietet nicht annähernd den Komfort, für den sie eigentlich gedacht ist und die Kommunikation mit dem Auto ist immer noch nicht perfekt.

- Die Anzeige der Reichweiten und Ladestationen bzw. deren sinnvolle Filterung im Navi ist gelinde gesagt recht ausbaufähig.

Die gute Nachricht lautet: das sind alles Softwareprobleme, die vermutlich nach und nach per Update gelöst werden (können). Zumal die Software im Prinzip auch für alle zukünftigen Modelle verwendet werden wird und in einem Massenmarkt andere Regeln gelten als für ein paar Elektronerds, die sich sicher mehr gefallen lassen. In der Priorisierung hätte für mich die App Vorrang, danach bis zum nächsten Herbst die Wärmepumpe. Die Reichweitenplanung dagegen brauche ich kaum, da ich nur selten Langstrecke fahre - aber das ist sicher bei jedem Besitzer anders.

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