Sonntag, 5. Dezember 2021

Ladekarte vs. Ladeapp vs. Girokarte - 3 gewinnt?

Um zu verstehen, weshalb überhaupt so eine Debatte entstehen kann, muss man seine Verbrenner-Erfahrungen mit Tankstellen etwas beiseite legen. Stromlader sind automatisiert, ein Vergleich ist daher höchstens mit Automatenzapfsäulen möglich, die aber in Deutschland nur wenige Leute -vorwiegend an Nachttankstellen- nutzen. Daher zunächst ein allgemeiner Hinweis zum 'warum'. 😏

Der Sinn ist immer die Identifikation des Zahlungsmittels. 👆 Normalerweise gibt es dafür an Automatentanksäulen zwei Wege: einen Schein einwerfen oder eine Karte (Kredit oder Giro). Da die Anzahl von Ladesäulen ungleich höher ist, wäre der Aufwand für Bargeld viel zu hoch, daher scheidet diese Variante von vorneherein aus (es dürfte aber aber nur noch sehr wenige Tanksäulen geben, die noch Bargeld akzeptieren). Weil aber der Betrag nicht vorher feststeht, funktioniert der Ablauf mit einer Kredit- oder Girokarte so:

(1) Ein Pauschalbetrag wird geblockt.
(2) Laden, Laden beenden, Betrag steht fest.
(3) Der tatsächliche Betrag wird aus der Reservierung freigeben.

Weil dieses Verfahren aber beim Beginn der Elektromobilität noch nicht verfügbar war, mussten sich die Betreiber der Ladesäulen etwas anderes einfallen lassen. Dieses 'Andere' war die Ladekarte.💥

Ladekarten hatten anfangs einen Magnetstreifen, heute allerdings nur noch einen RFID-Chip zum Dranhalten. Grund ist die Wetterunempfindlichkeit und geringere Störungsanfälligkeit der Leser; an Supermarktkassen etc. wird sich diese Entwicklung wohl in absehbarer Zeit nachvollziehen. Um so eine Karte zu bekommen, muss der Nutzer diese beantragen und mit einem Zahlungsmittel hinterlegen. Das kann eine Kreditkarte oder ein Konto für Bankeinzug sein (oder Paypal oder Klarna oder...), einmal pro Monat kommt dann die Abrechnung. Das ist sehr bequem, hat aber einen Haken: nicht jede Säule akzeptiert jede Karte, weswegen speziell Vielfahrer gezwungen sind, mehrere Karten in der Tasche zu haben. 💣 Roaming ist schon möglich, aber teilweise noch zu teuer; der Zustand ist ungefähr wie im Mobilfunknetz vor 15 Jahren. Die Politik hat das Problem erkannt, aber das Aufräumen wird sicher noch 2-3 Jahre dauern. [Ergänzung Juli 2024: oder auch länger, denn die Stromanbieter haben einen Trick mit Apps gefunden, da vorläufig drumherum zu kommen. Allerdings dürfte die EU-Wettbewerbskommission da noch dieses Jahr aufräumen.]

Ansonsten sind meine persönlichen bisherigen Erfahrungen mit der Ladekarte (nur eine, in diesem Fall We.Charge von VW) recht positiv. Karte ranhalten, Strom kommt (selbst in Dänemark oder beim kostenlosen Laden im Einkaufszentrum). Das ist sehr einfach. Der einzige Haken: man sieht bei AC-Ladern (die Stadtlader, bis 22 kW) oft den Strompreis nicht, zu dem man lädt. Viele davon haben kein richtiges Display und selbst wenn, kann der Säulenbetreiber nicht den Preis kennen, zu dem der Benutzer den Strom bezieht. Die Politik steuert auch hier gerade nach. Das Problem ist aber marginal, denn langsames Laden zwischendurch, z.B. während des Einkaufsbummels zieht nicht viel Strom, der dazu im Vergleich zum Schnelllader recht günstig ist. 😅 In der zur Karte gehörenden App sieht man den Preis aber immer. Das finanzielle Risiko ist somit überschaubar.

Ladeapps sind dabei, Ladekarten zumindest teilweise abzulösen. Der Vorteil ist, dass man problemlos ziemlich viele davon zwecks Preisoptimierung auf dem Handy bereithalten kann - das trägt auch die Brieftasche nicht auf. 😁Dennoch ist die Bedienung im Vergleich zur Ladekarte eher etwas umständlich. Man benötigt einen Datentarif und ein funktionierendes Internet an der Säule (speziell in Parkhäusern manchmal ein Problem). Die Freischaltung per App des Säulenbetreibers ist meist ok, bei Nutzung von Apps von Drittanbietern (Roaming) dagegen öfter etwas kompliziert - und wegen der Roaminggebühren teurer. Und natürlich muss man in jeder App registriert sein und eine Kontoverbindung hinterlegt haben. Dafür bekommt man immer den Preis vorher angezeigt und kann sich gegebenenfalls den billigsten Anbieter aussuchen.

Meine Erfahrungen in der Praxis sind hier gemischt: von 'funktioniert tadellos' über 'kein Internet im Parkhaus' bis hin zu 'keine der drei Ladeapps kannte die Säule' war schon alles dabei. Wer sich vorwiegend in einem überschaubaren Umkreis bewegt -der vielleicht noch von einem oder zwei lokalen Anbietern bedient wird- hat hier natürlich keinerlei Problem. Ich habe auch ein Konto bei den hiesigen Stadtwerken, die ein Spezialabkommen mit einem grösseren Anbieter haben. Dieses nutze ich allerdings eher selten, da ich zu Hause laden kann. 😐

Damit zum letzten Kapitel, der Nutzung von Kredit-/EC-Karten. Die neue Ladesäulenverordnung schreibt den Einbau entsprechender Leser für neue Säulen ab 2023 vor. Damit werden alle Betreiber gezwungen, passende Identifikationsverfahren in jede Säule einzubauen. Hauptvorteil ist, dass eine Karte für jede Säule gilt. Hauptnachteile sind die zusätzlichen Kosten, da jede Säule nun Verbindung zu den Bankservern aufnehmen können muss, um die Karte zu autorisieren. Und natürlich gegebenenfalls eine dadurch erhöhte Störanfälligkeit, aber das muss die Zeit zeigen. Witziges am Rande: Mitte Oktober 2021 gab MasterCard bekannt, dass 2023 das Maestro-System (Vielen bekannt als 'Girocard' oder 'EC-Card') abgeschaltet wird. Damit ist diese -vorwiegend deutsche- Sonderlösung dann im Prinzip komplett am Ende - gerade rechtzeitig zur Einführung der neuen Verordnung. 😂Ersetzt werden sollen die Karten dann durch die MasterCard-Debit, die dieselbe Funktionalität haben soll. Mal sehen, was das wird.

Ich konnte die Funktion immerhin schon einmal ausprobieren, an einer Säule in Minden. Der Minibildschirm zeigte den Preis pro kWh für gefühlte 0,5 Sekunden an - nachdem die Karte durch Vorhalten authorisiert wurde. Bequem war es schon (zumindest, nachdem ich endlich den Leser gefunden hatte), aber transparenter? Und am Ende wurden mir dann €4 Euro oder so als Einzelposten abgebucht, wobei die Zählerstände vorher/nachher auf dem Auszug erschienen. Wie viele kWh das waren, musste ich (für die Verbrauchsbestimmung) daraus selbst errechnen. 😤

Das Fazit? Ganz ehrlich: mir persönlich wäre eine 'Global/Europa-Ladekarte' lieber gewesen, die man mit einer Bankverbindung seiner Wahl hinterlegt, die an allen Säulen funktioniert und die Monatsabrechnungen unterstützt. Einfach an die Säule halten und die volle Bequemlichkeit für den Nutzer, aber davon hätten ja die Finanzinstitute nichts... 😖 Noch schöner ist natürlich ein 'Einstecken und Laden', bei dem das Auto die Zahlung an der Säule steuert. So, wie es schon von Anfang an bei Tesla Standard ist. Ionity und EnBW fangen wohl gerade an, damit zu experimentieren. Und Tesla ist offensichtlich gerade dabei, seine Säulen für Nicht-Teslafahrer zu öffnen. Vielleicht erledigt sich das ja dann von selbst. Das wäre ein Traum...

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