Wie im vorherigen Post beschrieben, habe ich meine erste Ferntour mit ABRP vorgeplant - ohne dabei Rücksicht auf meine bisherigen Verbrauchswerte zu nehmen. Obwohl ich die alle kenne, denn vom ersten Kilometer an habe ich alle Verbräuche dokumentiert. Sowohl die des Bordcomputers als auch die tatsächlich geladenen kW an allen Säulen. Übrigens ein positiver Nebeneffekt der Spielereien mit Ladekarte und -app: man hat immer eine komplette Ladehistorie bei der Hand. 😎 Aber das nur nebenbei.
Warum bei der Planung also nicht einfach die bisherigen Verbräuche annehmen? Um das zu verstehen, lege ich hier mal ein paar Zahlen auf den Tisch. Zunächst einmal ein Foto links vom Verbrauch etwa eine Woche vor der Abfahrt. 55% Akkustand entsprechen hier 256 km. Mit dem Dreisatz (256/55*100) ergibt sich bei Vollladung auf 100% somit eine rechnerische Reichweite von 456 km. 😜Und wie man in dem folgenden Bild rechts sieht, kam der Bordcomputer nach der tatsächlichen Vollladung direkt vor der Tour auf fast genau denselben Wert. Was bedeutet, dass sich die Verbrauchswerte in der Woche dazwischen nicht gross geändert hatten.
Aber wie sind die eigentlich zustande gekommen? Ist das für meine geplante Tour überhaupt realistisch? Und da liegt der Hase im Pfeffer. 😕 Auf keinen Fall sollte man derartige Zahlen einfach unkritisch übernehmen.
Natürlich schwanken Verbräuche bei verschiedenen Nutzungen und Jahreszeiten, das ist normal und auch jedem Verbrennerfahrer bekannt. Die Schwankungsbreite ist aber bei Elektrofahrzeugen um einiges höher. Der Grund ist ihre Effizienz: bei einem Verbrenner mit 35% Effizienz (d.h. 35% der eingesetzten Energie werden in Bewegung umgesetzt) fallen Verluste durch niedrige Temperaturen oder höheren Windwiderstand nicht so ins Gewicht wie bei einem Elektrofahrzeug mit Effizienz 85% und mehr. Natürlich braucht auch ein Verbrenner mit Dachkoffer oder Fahrrädern mehr Sprit. Da reden wir dann über vielleicht 20% Mehrverbrauch (also z.B. 9 Liter statt 7 oder etwa 7 statt 5,5).😐
Der ID.3 jedoch hat im Sommer unter 15 kWh verbraucht, im Winter bei minus 15 Grad aber über 25 kWh. Die Schwankungsbreite liegt hier somit bei weit über 50%. Die Anzeige oben weist (bei 58 kWh Batteriekapazität) sogar einen Verbrauch von 58/4,55 = 12,7 kWh aus! Und auch dieser Verbrauch ist echt. 😦 Und nun sollte daraus der voraussichtliche Verbrauch für eine Langstrecken-Autobahnfahrt mit Fahrradträger auf AHK geschätzt werden. Eine kleine Herausforderung, der man sich am besten nähert, indem das Zustandekommen der einzelnen Zahlen hinterfragt wird.
(1) Historischer Verbrauch
Angezeigt werden im Bordcomputer des ID.3 die Verbräuche 'aktuell/letzte Fahrt', 'seit dem letzten Laden' und 'Langzeit', wobei man Langzeit zurücksetzen kann. Das habe ich noch nie gemacht, aber natürlich ist dieser Wert abhängig von der Frage, wieviele Kilometer man verbrauchsintensiv (z.B. Winter, Autobahn) oder verbrauchsarm (z.B. Sommer, Landstrasse) zurückgelegt hat. 💡
Bei mir sind -mangels Autobahn- die Anteile Stadtverkehr und Landstrasse
sehr hoch und die Strecken eher kurz. Und ich habe den grösseren Teil meines bisherigen Verbrauches in eher wärmeren Monaten gefahren. Nur auf der Landstrasse wurde zuvor auch der Fahrradträger mal eingesetzt, mit 2 kW oder so Mehrverbrauch ein billiges Vergnügen.
(2) Geplanter Verbrauch
Was ein Problem aufwirft, denn obwohl es noch Sommer war, besteht die Strecke nach Flensburg zu 85% aus Autobahn. Plus einem Windwiderstand, der durch den Fahrradträger erheblich zunimmt. Die erste Schätzung ging in die Richtung 'wie Winterverbrauch', aber 25 kW oder mehr erschienen denn doch etwas hoch. Somit wurde nach der allseits beliebten Standardformel 'Pi mal Daumen' einfach mal ein Verbrauch von 24 kW angenommen. Etwas weniger als Winterverbrauch also, aber dennoch ein satter Zuschlag von einem Drittel - also deutlich mehr als beim Verbrenner.
Voraussetzung war natürlich auch, dass die normale Geschwindigkeit auf der Autobahn 130 km/h sein sollte. Hier geht es nicht um maximale erreichbare Reichweite, sondern um Komfort.👆 Und es war vorgesehen, vorsichtshalber mit sehr grosszügigen 20-30% in Flensburg anzukommen, denn an der Zielunterkunft gab es direkt keine Lademöglichkeit.
(3) Tatsächlicher Verbrauch
Man sieht an diesen Überlegungen schon ganz klar: obwohl ich eine Reichweite von 455 km angezeigt bekomme, weiss ich, dass die Strecke nach Flensburg von 330 km nicht ohne Nachladen zu erreichen sein wird. 😆Die Rückrechnung sieht so aus: 70% (bis 30% sollen ja am Ende noch drin sein) von 58 kWh maximaler Kapazität ergeben 40 kWh. Bei über 300 km Strecke dürfte der Verbrauch also keine 14 kWh betragen - auf der Autobahn und mit Fahrradträger. Auch wenn meine Schätzung von 24 kWh zu hoch sein sollte, ist das unrealistisch: also benötige ich unterwegs eine Ladung. Das stört mich nicht, da ich ohnehin für so eine Strecke eine Pause einplane. Bleibt die Frage: wie kann ich überprüfen, ob meine Schätzung einigermassen stimmt?
Die Antwort lautet: mit einem Durchfahrtplan. ABRP lässt es zu, dass man Zwischenziele definiert und zeigt auch den jeweils dazu gehörigen Akkustand an. Also gab ich drei Zwischenziele ein, zuerst den Umweg über den Imkershop, dann an der Autobahn zwei Raststätten, an denen Schnelllader installiert sind: Lüneburger Heide und Harburger Berge.
Die Idee ist des Planes ist einfach: wenn an den genannten Punkten die Vorhersage des Planes den tatsächlichen Werten nahekommt, ist alles in Ordnung. Wenn die tatsächlichen Werte niedriger sind -der Verbrauch also höher ist als angenommen- gibt es sofort die Option, nachzuladen. Beim ersten Stopp war aber tatsächlich gleich genau die veranschlagte Menge im Akku, ebenso bei Durchfahrt an den beiden Raststätten. Dass die Schätzung so genau passte, war natürlich Glück. Weil das so gut hinkam, hatte ich dann auch genügend Vertrauen, problemlos den angepeilten Ladestopp an der Raststätte Brokenlande zu erreichen. Da fehlten mir am Ende 3% oder so, vermutlich, weil ich etwas schneller fuhr oder aufgrund starker Winde (diese Strecke führt z.B. über die Rader Hochbrücke).
(4) Nachbetrachtung
Was mir nicht sofort auffiel: an dieser Liste erkennt man auch, wie gut ABRP mit den unterschiedlichen Strecken rechnet, die 60 km bis zu ersten Stopp waren noch Landstrasse, danach je 25 km oder so Landstrasse und Autobahn gemischt bis zum Prüfpunkt Lüneburger Heide, der Rest nur Autobahn bis Prüfpunkt Harburger Berge und Stopp in Brokenlande. Trotzdem stimmten alle Vorhersagen. Wenn derartige Algorithmen jetzt noch direkt im Fahrzeugnavi eingesetzt würden, die Elektromobilität wäre in diesem Punkt perfekt. 😎 [Nachtrag April 2022: der ID.3 kann das mit der neuen Softwareversion jetzt im Navi anzeigen!]
Auf jeden Fall hat mir die Fahrt genügend Erfahrung und Vertrauen gebracht, dass beim nächsten Mal nicht solche 'Sicherheitsmargen' eingebaut werden und auch nicht mehr so ausführlich geplant wird (gut, das habe ich auch meiner Vorsicht zu verdanken und wäre nicht wirklich nötig gewesen).
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